Predigt zu 1. Samuel 16,14-23 am Sonntag Kantate
2023
Liebe Gemeinde,
„warum tut Singen gut?“ Versuchsweise habe ich „künstliche Intelligenz“ dazu befragt:
Die Antwort lautet zusammengefasst:
„Singen trägt nicht nur zu einem besseren körperlichen und geistigen Wohlbefinden bei. Es stärkt auch das Gemeinschaftsgefühl. Im Einzelnen heißt das: Stress und Angst werden abgebaut, Atmung und Haltung verbessert, das Immunsystem wie auch das Miteinander werden gestärkt. Und schließlich wirkt das Singen auch der Niedergeschlagenheit entgegen.
Und damit sind wir beim Bibelabschnitt für den heutigen Sonntag: David kommt an den Hof des Königs Sauls um ihn mit seinem Musizieren aus Niedergeschlagenheit und Missstimmung zu holen. Da dem David auch die Autorschaft vieler Psalmen zugeschrieben wird, dürfen wir davon ausgehen, dass David für Saul nicht nur in die Saiten der Harfe gegriffen, sondern auch gesungen hat.
Zunächst liegt also, was wir da lesen, es ganz auf der Linie dessen, was die „künstliche Intelligenz“ uns ausgibt: Musik trägt zur Besserung von Sauls Wohlbefinden bei.
Doch es kommt noch etwas hinzu. Einer der besten Kenner der Psalmen, der Liedsammlung des Ersten Testamentes, Erich Zenger, schreibt:
„Wie schuf Gott die Seele Davids, des künftigen Psalmensängers? – Er öffnete die Tore des Gesangs, er nahm das Trillern der Vögel, das Raunen der Wälder, die angenehmen Stimmen des zarten Windes, der sich zwischen den Zweigen und Blättern hören lässt, das Rauschen der Quellen und Bäche, den Gesang derer, die zu Gott flehen, und ihre Danklieder – und machte daraus eine Seele, die er David einhauchte“.
Musik ist Widerhall der göttlichen Schöpfung.
Wer musiziert, darf einstimmen in den Gesang der Vögel, in das Rauschen der Blätter, in das Murmeln des Baches, ja, in das weltumspannende Lob Gottes und in die Bitten der Menschenkinder.
Nun aber ist Sauls Stern ist im Sinken begriffen. Sein Nachfolger David steht in den Startlöchern. Der Generationenwechsel ist eingeläutet. Saul wird mit seinen Grenzen und seinem Scheitern konfrontiert, mit seiner Schuld und seinem Versagen.
Dafür steht das vorausgegangene Kapitel 15 im 1. Samuelbuch.
Das erste Buch Samuel berichtet, wie der Hirtenjunge David die Aufmerksamkeit des König Saul erlangt, dessen Nachfolge er antreten wird. Mit David verbinden die meisten zunächst den furchtlosen, jungen Mann, der den übermächtigen Philister Goliath zur Strecke bringt. Aber heute zeigt sich David nahbarer und weicher. Sein musikalisches Talent eröffnet ihm den Weg an den Hof des Königs Saul. Und als Harfe-Spieler hat er auch seinen Platz im Chorgestühl dieser Kirche. David wird herbeigeholt, wenn Saul von „bösen Geistern“ heimgesucht wird.
Heute ist bekannt, dass Musik bereits im Hirnstamm verarbeitet
und somit noch außerhalb des eigentlichen Bewusstseins
wahrgenommen wird. Erst dann kommt es zur genaueren Wahrnehmung
der Töne, Klänge und Stimmen. Musik ruft Gefühle wach; sie kann
Glücksempfindungen fördern und das Empfinden von Schmerzen
unterdrücken. Die antike Welt führte psychische Erkrankungen
hingegen auf die Anwesen- und Besessenheit durch Dämonen oder
böse Geister zurück. Die Wirkung der Musik wurde nicht auf die
leidenden Menschen bezogen, sondern direkt auf die bösen
Mächte, die vor der Musik „fliehen“. Diese Auffassung war noch
bis in Mittelalter verbreitet und
findet sich auch bei Martin Luther wieder, der schreibt: „Denn
wir wissen, dass die Musik auch den Teufeln zuwider und
unerträglich sei.“
Es mag uns erschrecken, dass Sauls Geisteszustand durch Gott selbst hervorgerufen wird, indem er seinen eigenen Geist von Saul „abzieht“ und Platz für einen bösen Geist macht, der ebenfalls von Gott selbst gesandt wird. Immerhin gilt dann auch: Gott greift in das Weltgeschehen ein und macht deutlich, dass seine Befehlsgewalt über den eigenen Geist hinaus gilt. Unerwartet ist jedoch, dass ausgerechnet David, dessen Aufstieg Sauls Schicksal besiegeln wird, zu demjenigen wird, der durch seine musikalische Begabung den bösen Geist von Gott von Saul abziehen kann. David wird hier nicht als Gegner Sauls dargestellt, sondern als „Retter in der Not“. Die Musik ist nun nicht mehr nur ein Heilmittel, sondern verändert die Beziehungsebene zwischen David und Saul. Durch die Kraft der Musik, wird es mit Saul noch einmal besser, indem der böse Geist von ihm ablässt.
Der Generationswechsel von Saul zu David vollzieht sich. Die Musik hilft Saul, mit dieser allmählichen, nicht rückgängig zu machenden Veränderung in seinem Leben umzugehen. Er willigt ein in den Weg, der ihm vorgezeichnet ist, vielleicht immer noch mit Trauer, aber nicht mehr mit Schwermut. Davids Musik wird ihm zum Widerhall der göttlichen Schöpfung mit ihrem Werden und Vergehen. Sie versöhnt ihn mit Gott.
Musik ist auch heute noch weit mehr als nur ein schmückendes Beiwerk des Gottesdienstes. Musik ist mehr als nur eine Begleiterscheinung, die untermalt, ausschmückt oder begleitet.
Die Macht Gottes zeigt sich nicht nur in der Verkündigung, sondern auch in der Musik.
Amen